[LYRIKEMPFEHLUNG DER WOCHE:]“GESANG EINES WOMÖGLICH AUSGESTORBENEN WESENS” von Marianne Jungmaier

Mari­an­ne Jung­mai­er:
Gesang eines womög­lich aus­ge­stor­be­nen Wesens
Otto Mül­ler Vlg., 2024
63 S. | € 25,00
ISBN: 978–3‑7013–1316‑7
Rezen­si­on: Timo Brandt / @lyristix

Es gibt eine Legen­de, nach der es in Süd­ame­ri­ka einen Vogel gibt, der jeden Abend glaubt, die Welt gehe unter und jeden Mor­gen, wenn die Son­ne wie­der auf­geht, ein jubi­lie­ren­des Lied von sich gibt, aus Schreck und Freu­de noch am Leben zu sein.

Auch wenn er nur in einer Legen­de exis­tiert, ist die­ser Vogel uns die­ser Tage näher, als wir gern zuge­ben. Denn zwi­schen Kli­ma­wan­del, Krie­gen und einer durch­di­gi­ta­li­sier­ten Welt ist es schwie­rig gewor­den, Zukunft als etwas Leben­di­ges, Natür­li­ches zu begrei­fen und nicht über­all nur Unter­gang und laby­rin­thi­sche Zustän­de zu sehen. Statt uns selbst zu begrei­fen in unse­rem Stirb und Wer­de, glei­chen wir Follower*innen ab, hören vom Wirt­schafts­wachs­tum, stei­gen­den und fal­len­den Kur­sen und kli­cken auf die neus­ten Tops und Tips aus den Con­tent­fa­bri­ken.

Mari­an­ne Jung­mai­ers Gedich­te wen­den sich dage­gen der Natur zu und ver­su­chen die ele­men­ta­re Prä­senz von Bäu­men, Seen und Land­schaf­ten nach­zu­zeich­nen – und das mit dem “zeich­nen” ist hier fast wort­wört­lich gemeint, denn ihre Ver­se sind wenig kon­tem­pla­tiv, gehen sel­ten in die Tie­fe, son­dern erkun­den eher die gan­ze Ober­flä­che ihres Gegen­stan­des. Das ver­stärkt den Ein­druck, dass die Tex­te um etwas Hei­li­ges krei­sen, das nicht hin­ter­fragt und kon­tex­tua­li­siert, son­dern eben “besun­gen” wer­den soll.

Die­ses Gesang­li­che macht die Gedich­te mit­un­ter etwas ein­för­mig, aber auch plas­tisch und legt einen Hauch Unwi­der­ruf­lich­keit in die Dar­stel­lun­gen, der bei aller Beschau­lich­keit die­se Gedich­te als exis­ten­zi­el­le Aus­ein­an­der­set­zun­gen aus­weist.

Wir brau­chen, schrieb Gus­tav Sjö­berg, eine neue Poe­sie, eine Poe­sie der blü­hen­den All­ma­te­rie. Jung­mai­ers Band ist da auf einem guten Weg.

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