Anna Herzig:
Zwölf Grad unter Null
Haymon, 2023
ISBN: 978–3‑7099–8192‑4
144. Seiten, € 20,00
Stellen Sie sich vor: Sie sind eine Frau und wohnen in Sandburg. Dort wurde gerade das „Waitmannsschuldengesetz“ erlassen, das besagt, dass jeder Mann ab dem 18. Lebensjahr das Recht hat, von seinen weiblichen Verwandten oder auch jeder Frau, mit der er jemals eine Beziehung gehabt hat, jede verschenkte, geborgte oder investierte Summe zurückzuverlangen. Die Frauen in Sandburg bekommen eine Frist von 14 Tagen, um ihre „Schulden“ zu begleichen – andernfalls landen sie auf einer öffentlichen Liste, und wer auf dieser steht, kann nicht mal mehr einen Miet- oder Kaufvertrag abschließen …
Eine der betroffenen Frauen ist die schwangere Greta, deren Verlobter plötzlich der Meinung ist, dass auch ihm das in Greta investierte Geld zustehe.
„Warum tust du mir das an?“, fragt Greta, worauf der Vater ihres ungeborenen Kindes meint: „Nimm es nicht so tragisch. Ich brauch nur mein Geld zurück.“ Auf erneute (flehende) Nachfrage sagt er (genervt): „Es wird langweilig (…) Zahl deine Schulden, Greta. Damit kannst du dir meinen Respekt wieder verdienen. Danach sehen wir, ob ich dich noch brauchen kann.“
In knappen Sätzen und kurzen Kapiteln wechselt Anna Herzig zwischen dem Sandburg im Jetzt, in dem Männer ihre Rachephantasien ausleben (oder auch einfach nur auf geschmacklose Weise Geld einfordern) und der Suppe der Mutter, 30 Jahre zuvor, der Suppe, die immer zur rechten Zeit auf dem Tisch stehen musste, nicht zu kalt, nicht zu heiß, die Suppe für den Vater, der das Geld nach Hause brachte und das Sagen hatte. Und die Macht. Und das Gewaltmonopol.
Mit der Eheschließung hatte sich Gretas und Elises Mutter eine mehr als bittere Suppe eingebrockt, eine Suppe, die die sie nicht imstande war, selbst auszulöffeln, aufzulösen. Die Mutter tat, was der Vater verlangte, so lange, bis sie es nicht mehr aushielt und eine Entscheidung traf, .… mehr will ich hier aber nicht erzählen.
Nur soviel: die ältere Tochter, Elise, durchschaut das Spiel, die jüngere, Greta, ist zu klein, der Vater ihr Held, die Schwesternbeziehung daher mehr als konfliktreich.
Am Ende gilt es viel wieder gutzumachen. Elise nimmt die jüngere Schwester bei sich auf. Denn eines steht fest: Die Frauen müssen sich endlich solidarisieren.
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“12 Grad unter Null” ist Buch, das einen wie die Faust in den Buch fährt, weil es so wahnsinnig wütend macht. Gar nicht mal auf “die Männer”, sondern vielmehr auf die patriarchal strukturierte Gesellschaft, denn auch wenn es bei uns kein “Waitmannsschuldengesetz” gibt – wie oft müssen sich Frauen (Mütter) noch immer anhören, dass sie weniger Geld nach Hause bringen, dass sie ja ohnehin beim Kind zu Hause seien, dass es ihre Aufgabe sei, dass das Essen am Tisch steht. Wie oft sind die vielen kleinen Handgriffe der Frauen noch immer selbstverständlich (nix wert), während jeder Handgriff des Mannes (oder auch jeder in die Familie investierte Cent) eine Opfergabe sind. Wie oft wird die Exfrau als geldgieriges Monster bezeichnet, bloß weil sie die Alimente fürs gemeinsame Kind einfordert?
Und selbst wenn frau Glück hat, eine wirklich gleichberechtigte Beziehung zu führen (denn ja, diese gibt es ja zum Glück durchaus!) – wird nicht selten (gerade von Frauen!) getuschelt: “Der Arme, der hat daheim aber auch nix zu melden”.
Und wie oft erleben wir Frauen, dass beleidigte Männer in Machtpositionen ihre Rache auf den Fuß folgen lassen, wenn wir uns nicht ihren Wünschen fügen …
Und trotzdem. Der Hass gegen die Woke-Bewegung ist überall zu finden, nicht nur bei den Trump-Anhängern, nicht nur bei den “alten weißen Männern”, sondern durchaus auch unter Frauen, und nicht selten sind diese sogar jung.
Kein Wunder also, das es auch bei Herzig die Frauen sind, die das „Waitmannsschuldengesetz“ mitbeschließen — sei es dem Bruder oder auch einem heimlich angehimmelten Mann zuliebe …
Margarita ist seit 2009 bei &Radieschen. Sie ist für den Satz der Zeitschrift sowie den reibungslosen Ablauf von Einsendeschuss bis Druck verantwortlich – und für diesen Blog. Bei &Radieschen hat sie ihre Leidenschaft fürs Zeitschriftenmachen entdeckt, weswegen sie seit 2021 auch die Dialektzeitschrift “Morgenschtean” gestaltet. Wenn sie nicht gerade vor dem Bildschirm sitzt, dann liest sie meist. Oder sie schreibt (> margaritakinstner.at).