WEISSNET 2.3
Hg. von Gerlinde Hacker und Dorothea Pointner
edition #igfem, 2024
240 S. | ISBN: 978395054916
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Rezension: Margarita Puntigam-Kinstner
Was bedeutet es, Frau zu sein? Wieso werden so viele Themen, die Frauen betreffen, noch immer tabuisiert? Und warum spricht man von “Frauenliteratur”, wenn eine Frau einen Roman schreibt?
Beim Lesen der Texte in “WeissNet 2.3”, der Anthologie der IG Feministische Autorinnen, habe ich zweierlei festgestellt. Erstens: Ich habe beim Lesen heftig mit dem Kopf genickt und einen Knoten im Magen gespürt. Zweitens: Ich habe beim Lesen heftig den Kopf geschüttelt und einen Knoten im Magen gespürt.
Die Texte lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen. Es gibt Texte, die gegen Tabus anschreiben. Wie etwa jener von Katharina Levashova, die sich die Frage stellt, warum eigentlich niemand darüber spricht, wie es ist, wenn man mitten in einer siebenstündigen OP plötzlich spürt, dass sich das Regelblut einen Weg durch die Watte bahnt. Wer denkt an die Ärztin? An den Blutsturz zwischen ihren Beinen und ihre Schmerzen?
Tabus gibt es im Leben einer Frau noch immer genug. Über die Periode spricht man nicht, über die eigenen Empfindungen am besten auch nicht (hat sie eben das PMS), dass der Mann zu Hause kaum mithilft, soll frau auch nicht belasten (muss sie auch immer so rumkeppeln?) und dass Mütter an manchen Tagen permanent heulen oder schreien könnten, weil sie nicht mehr wissen, wohin mit sich selbst, interessiert auch niemanden. Frauen haben seit Ewigkeiten Kinder bekommen und den Haushalt geschupft, wo, bitteschön, liegt das Problem? Lasst uns doch in Ruhe mit euren Befindlichkeiten!
Männer schreiben seit Jahrzehnten offen über ihre Sexualität und ihre Prostataprobleme – und niemand stößt sich daran. Auch wir Frauen nicht. Keine von uns würde abschätzend das Wort “Männerliteratur” in den Mund nehmen. Warum? Weil wir uns mehr für das Menschliche interessieren? Weil wir die empathischere Hälfte der Menschheit sind? Was für ein Schwachsinn.
Und doch, vieles, was als Klischee anmutet, existiert noch immer. Hier kommen wir nun zur zweiten Kategorie. Hier geht es nicht mehr “nur” um “Befindlichkeiten”, sondern um die Gewalt, die viele Frauen noch immer täglich erleben. Bei wie vielen Paaren bestimmt nach wie vor der Mann, mit wem die Frau ihre Freizeit verbringen darf? Wie viele Frauen gehen geduckt durchs Leben, weil sie seelische und / oder körperliche Gewalt durch Männer erfahren – durch die Väter, den Boss, den Ehemann …
Und ja, wie viele Frauen haben Angst, wenn sie im Dunkeln nach Hause gehen – und das nicht bloß, weil sie paranoid sind.
Sind wir Frauen selbst schuld? Weil wir rotes Kirschlabello auftragen oder den Minirock aus dem Kasten holen? Weil wir den falschen Partner gewählt haben? Weil wir uns im Jahr 2024 noch immer gefallen lassen, dass der Großteil der Hausarbeit an uns kleben bleibt? Haben wir unsere Männer zu sehr verwöhnt, wenn sie keinen Wischmop in die Hand nehmen? Haben wir die Männer zu sehr gereizt, wenn sie zuschlagen?
Manche, auch Frauen, werden jetzt denken: Nicht schon wieder. Nicht schon wieder Gewalt an Frauen, nicht schon wieder Periode, nicht schon wieder überforderte Mütter. Ich gebe zu, manchmal hängt auch mir das Thema zum Hals heraus. Und manchmal denke ich: Erreichen diese Texte überhaupt die Menschen, die sie erreichen sollten? Kein gewalttätiger Mann wird diese Anthologie zur Hand nehmen. Kein Mann, der andere abfällig als »Weichei«, bezeichnet, wird sich mit seinem Sechzehnerblech aufs Sofa setzten und mal schnell ein paar “WeissNet”-Texte lesen.
Auch wenn das Wort “Frauenliteratur” zum Kotzen ist: Vielleicht kann man die Sache auch im positiven Licht sehen. Texte von Frauen wirken – auf andere Frauen. Jede von uns wird Denkweisen an sich entdecken, die von patriarchalen Mustern geprägt sind, ob wir es wollen oder nicht. Wir müssen beginnen, noch mehr aus den uns zugedachten Rollen auszubrechen. Keine Rechtfertigungen mehr, keine Scham, kein permanentes Ja-Sagen auf eigene Kosten.
Als lesende Frauen können wir mit jenen über die Texte diskutieren, die sie aus diversen Gründen nicht lesen oder auch einfach nicht die Zeit dazu haben. Wir können in der Kindererziehung noch mehr umdenken. Und wir können uns selbst Mut zusprechen – wenn es etwa darum geht, den Haushalt links liegen zu lassen, nicht perfekt zu sein, auch als Mutter nicht. Oder darum, sich im Job selbst auf die Schulter zu klopfen. Die Männer machen das ja auch. Warum sollten wir Frauen nicht dasselbe Recht haben? Und ja – wieso nicht mal darüber reden, warum man als Ärztin eigentlich weiße Hosen tragen muss, selbst wenn man menstruiert?
Im Moment werden schon wieder neue Texte gesammelt. Für die nächste Ausgabe.
“WeissNet” – das ist eine Art jährliche Bestandsaufnahme. Gleichzeitig wirken die Texte wie kleine Dragees, die uns zu mehr »Ungehorsam« aufstacheln. Seien wir unbequem. Sprechen wir, wo uns andere den Mund verbieten wollen.
Oder schreiben wir darüber. Einsendeschluss ist übrigens der 1.10. Informationen zur Ausschreibung findet frau hier.
P.S: Fans von &Radieschen werden in der Anthologie übrigens viele ihnen gut bekannte Autorinnen wiederfinden!
Margarita ist seit 2009 bei &Radieschen. Sie ist für den Satz der Zeitschrift sowie den reibungslosen Ablauf von Einsendeschuss bis Druck verantwortlich – und für diesen Blog. Bei &Radieschen hat sie ihre Leidenschaft fürs Zeitschriftenmachen entdeckt, weswegen sie seit 2021 auch die Dialektzeitschrift “Morgenschtean” gestaltet. Wenn sie nicht gerade vor dem Bildschirm sitzt, dann liest sie meist. Oder sie schreibt (> margaritakinstner.at).