Mareike Fallwickl:
Die Wut, die bleibt
Rowohlt, 2022
384 S. | € 22,95
ISBN: 978–3‑498–00296‑1
Rezension: Katrin Oberhofer
“Die Wut, die bleibt” von Mareike Fallwickl beginnt sehr drastisch.
Helene, Mutter von drei Kindern, steht vom Familienabendessen auf und stürzt sich vom Balkon in den Tod. Zurück bleibt eine trauernde und unvollständige Familie und eine kinderlose beste Freundin, Sarah, die zuerst helfen will, und dann ganz schnell zur Alltagsmanagerin in der Familie wird.
Auch die pubertierende Tochter Lola wird anfangs eingespannt, distanziert sich aber schnell, und fragt Sarah recht bald, ob sie eigentlich dafür bezahlt wird, dass sie die Familienarbeit übernimmt, während der Mann weitgehend lebt wie bisher – für die Arbeit.
Überhaupt, Lola. Ich liebe diesen rebellierenden Teenager. Nach einem Übergriff im Skater-Park beschließt sie, Selbstverteidigung zu lernen. Sie trainiert, futtert sich gewichtig und entdeckt mit ihren Freundinnen, dass sie zurückschlagen können.
In Sarahs Haus hat sich währenddessen in ihrer Abwesenheit ihr Tinder-Date breit gemacht, der über den letzten Lockdown eher ungewollt bei ihr eingezogen ist, und sie fragt sich, wie sie ihn wieder dazu bringen kann, ihr Haus zu verlassen.
Wer etwas über die ungleiche Verteilung von Care-Arbeit, wie die Mechanismen von alltäglicher Diskriminierung, unterbewussten Mustern und persönlicher Überforderung ineinander greifen, erfahren will: Hier kann man für all das, was sich in so vielen Familien abspielt, wunderbar narrativ ausgearbeitete Beispiele finden. Ohne jemals das Gefühl zu bekommen: Oh, was für arme Opfer – mir hätte das nicht passieren können. Im Gegenteil sieht man hier vieles gespiegelt, das man kennt, von sich, von Freundinnen, von Frauen, die nicht doof sind und sich im Allgemeinen zu behaupten wissen. Aber dann doch an der Übermacht der Umstände scheitern.
Endet das alles tragisch? Mitnichten. Was ich vor allem bemerkenswert finde, ist, dass die weiblichen Figuren tatsächlich zu einer glaubwürdigen Selbstermächtigung finden. Und sich miteinander solidarisieren. Groß. Großartig.
Katrin Oberhofer, rezensiert seit 2023 für &Radieschen.
Aufgewachsen in Maria Saal, lebt mit ihren liebsten Menschen in Wien. Studium der Sozial- und Kulturanthropologie und Philosophie, Ausbildung zur Schreibtrainerin am writers’ studio.
Mehr Buchrezenzsionen (und Katzen) gibt es unter @writing_and_cats