Jörg Piringer:
günstige intelligenz
Ritter, 2022
208 S. | € 28,00
ISBN: 978–3‑85415–650‑5
Rezension: Timo Brandt / @lyristix
Vielleicht wird man eines Tages die KIs unserer Gegenwart tatsächlich als “günstige” Intelligenz klassifizieren. Nicht als der Anbeginn eines neuen Zeitalters, sondern als Spielzeug – der Tamagochi der 2020er Jahre. Ein kleines Game. Man kann ein bisschen damit herumspielen und sie Dinge tun lassen, die sonst Menschen tun; Schreiben zum Beispiel. Bis man dann drauf kommt, daß es halt nicht dasselbe ist wie selbst Schreiben; ähnlich wie beim Tamagochi, der halt auch kein echtes Haustier ist.
Wobei: was bedeutet “echt”? Und: wird nicht auch die Wirklichkeit überschätzt? Die vermeintliche “Realität” bietet in jedem Fall für viele Menschen weniger Möglichkeiten als die digitalen Welten, das macht ja ihre Anziehungskraft aus. Wo hört einem scheinbar immer jemand zu? In den sozialen Medien. Wo kann man sich vieles leisten, was real nicht ginge? In Videospielen. Wo erleben gutaussehende Menschen beglückende Geschichten, in denen (sich) alles (gut) ausgeht (oder, wahlweise: ihnen etwas spannendes, gefährliches passiert, ohne das man selbst in Gefahr gerät)? Netflix & Co.
Aber zurück zur Poesie und ihrer Beziehung zur Digitalisierung, insbesondere GPT. Dies das Sujet von Jörg Piringers zweitem Gedichtband im Ritter Verlag. Enthalten sind jedoch nicht nur von einer KI (nach Anweisungen Piringers) fabrizierte Gedichte, sondern auch vom Autor verfasste, in denen er sich mit den KI-Texten und ihrer Entstehung, aber auch mit den thematischen und historischen Kontexten und der Entwicklung maschineller Simulation von Intelligenz insgesamt auseinandersetzt.
In all diesen sorgfältig und gewissenhaft ausgearbeiteten Kommentartexten kommt aber auch der Humor nicht zu kurz, gleiches gilt, weniger intendiert (?) auch für die KI-Lyrik.
Mit diesem Hinweis will ich Piringers Buch keinesfalls als Jux hinstellen; im Gegenteil: es führt vor, warum Jux und Metaphysik, Witz und Warnung nah beieinander liegen und in der Frage nach der KI die Frage nach dem Menschlichen nach wie vor enthalten ist, vielleicht sogar dringlicher denn je. Es lag mir aber auch daran, zu betonen, dass Piringer nicht nur viel von der Materie versteht und dieses Wissen auch vermitteln kann, sondern sich dabei auch ein Gespür für die Absurdität seines Themas bewahrt hat. Und aus dieser Absurdität ebenso zu schöpfen weiß wie aus den Kontexten. So ist “günstige Intelligenz” ein Buch vieler Fragen und nicht weniger bizarrer Details, seien es Gedichtzeilen oder Fakten, Wortschöpfungen oder Erschöpfungen des Wortes. Der Limes des Digitalen, ist er erreicht, überschritten? Müssen wir ihn verteidigen, erst errichten, oder sollten wir diese neuen Barbaren einfach willkommen heißen? Immerhin bringen sie kreative Vorstellungen vom Gedicht mit. Und was sind wir ohne sie?
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