[REZENSION:] “Kleine Monster” von Jessica Lind

Kleine Monster

Jes­si­ca Lind:
KLEI­NE MOS­TER
Han­ser Ber­lin, 2024
250 S. | € 25,50
ISBN: 978–3‑446–28144‑8
Rezen­si­on: Mar­ga­ri­ta Pun­ti­gam-Kinst­ner

Ein jun­ges Eltern­paar wird in die Schu­le zitiert, offen­bar hat ihr Sohn ein Mäd­chen zu einer sexu­el­len Hand­lung gezwun­gen. Mehr erfah­ren die Eltern nicht, sie ahnen jedoch: Es muss wohl mehr gewe­sen sein, als dass ihr 7‑jähriges (!) Kind sei­nen Penis her­ge­zeigt hat. Doch um wel­ches Mäd­chen geht es über­haupt? Was hat sie der Leh­re­rin erzählt?
Die Mut­ter, Pia, bemüht sich um Ant­wor­ten, doch sie bekommt kei­ne. Im Gegen­teil – noch am sel­ben Tag wer­den ihr Mann Jakob und sie sogar aus der gemein­sa­men Eltern-Whats­App-Grup­pe aus­ge­schlos­sen.

Wie umge­hen als Mut­ter, wenn der eige­ne Sohn sich ver­schließt und nicht reden will? Soll man ihm glau­ben, dass da nichts war? Aber man kann ein Mäd­chen doch nicht ein­fach als Lüg­ne­rin hin­stel­len, nur weil man meint, den eige­nen Sohn zu ken­nen? Mann muss Mäd­chen doch glau­ben, wenn sie von sexu­el­len Über­grif­fen erzäh­len!
Und was tun, wenn man mor­gens plötz­lich das Laken im Kin­der­zim­mer nass vor­fin­det – aber drauf­kommt, dass es nicht gar nach Urin riecht? Hat der Sohn bloß Was­ser ver­schüt­tet, um Mit­leid zu erre­gen? Ist er ein Mons­ter? Ein kalt­blü­ti­ger Psy­cho­path, der sei­ne Eltern mani­pu­liert?

Es beginnt ein Hor­ror­trip für die Ich-Erzäh­le­rin, denn je mehr sie sich bemüht, mehr aus ihrem Sohn her­aus­zu­be­kom­men, des­to mehr ver­schließt er sich.
Doch geht es in Jes­si­ca Linds neu­em Roman über­haupt um Pias Sohn? Oder geht es viel­mehr um Pia selbst und dar­um, was sie als Kind erlebt hat? Was ist damals mit Pias klei­ner Schwes­ter pas­siert? Wie ist sie gestor­ben? Und was hat Pias Stief­schwes­ter Romi damit zu tun? War sie auch ein “klei­nes Mons­ter”?

Jes­si­ca Lind schreibt genia­le Dia­lo­ge. Da ist kein Wort zu viel, da sitzt jede Sze­ne. Auf kapp 250 Sei­ten ent­fal­tet sich ein Hor­ror, der vor allem des­we­gen so unter die Haut geht, weil man weiß: Kei­ne Mut­ter ist davor gefeit, Per­sön­lich­keits­an­tei­le in ihrem Kind zu ent­de­cken, die einen inne­ren Hor­ror­trip aus­lö­sen. Die Fra­ge ist nur: Wie viel von unse­rer Angst als Erzie­hen­de hat mit uns selbst, mit unse­rer eige­nen Geschich­te zu tun? Und wie schafft man es, als Mut­ter gelas­sen zu blei­ben, wenn die eige­nen Ner­ven kom­plett blank lie­gen?

Mar­ga­ri­ta ist seit 2009 bei &Radieschen. Sie ist für den Satz der Zeit­schrift sowie den rei­bungs­lo­sen Ablauf von Ein­sen­de­schuss bis Druck ver­ant­wort­lich – und für die­sen Blog. Bei &Radieschen hat sie ihre Lei­den­schaft fürs Zeit­schrif­ten­ma­chen ent­deckt, wes­we­gen sie seit 2021 auch die Dia­lekt­zeit­schrift “Mor­gen­schte­an” gestal­tet. Wenn sie nicht gera­de vor dem Bild­schirm sitzt, dann liest sie meist. Oder sie schreibt (> margaritakinstner.at).

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