[REZENSION:] “Erbgut” von Bettina Scheiflinger

Bet­ti­na Scheif­lin­ger:
Erb­gut
Roman; Kre­mayr & Sche­ri­au, 2022
ISBN: 978–3‑218–01329‑1
192 S. | € 22,00

Rezen­si­on: Kathe­ri­na Bra­schel

Vor etwas mehr als einem Jahr hat Bet­ti­na Scheif­lin­ger beim Anno­Li­te­ra­tur­SOnn­tag aus ihrem dama­li­gen Roman­ma­nu­skript gele­sen und schon damals das Publi­kum, inklu­si­ve mir, sofort tief in ihren Text gezo­gen. Ein Jahr spä­ter ist ihr Debüt­ro­man nun end­lich erschie­nen. Und das War­ten hat sich aus­ge­zahlt.

Mit gro­ßer sprach­li­cher Fein­heit erzählt Scheif­lin­ger vom Leben meh­re­rer Gene­ra­tio­nen, von Familiengeschichte(n), von den ver­schie­de­nen Bedeu­tun­gen von Ver­ant­wor­tung in den jewei­li­gen Gefü­gen, vom Abna­beln und Zuein­an­der­fin­den und auch vom Wei­ter­wir­ken des Zwei­ten Welt­kriegs in inner­fa­mi­liä­rer Gewalt und im Schwei­gen.

Jede ihrer Figu­ren sucht nach Ver­or­tung und das Beschrei­ben die­ser Such­be­we­gun­gen, ohne sie jedoch über­mä­ßig aus­zu­stel­len, ist einer der so ein­neh­men­den Züge die­ses Romans.

Was eine bewuss­te Ent­schei­dung gewe­sen sein mag, beim Lesen aber lei­der den­noch stre­cken­wei­se anstrengt, ist das schnel­le hin und her Wech­seln der erzähl­ten Per­spek­ti­ven in den ein­zel­nen, oft sehr kur­zen, Kapi­teln, da ihnen auch kei­ne Jah­res­zah­len oder eine ähn­li­che Ori­en­tie­rungs­hil­fe vor­an­ge­stellt wer­den. So emp­fiehlt es sich, beim Lesen par­al­lel einen Stamm­baum mit­zu­zeich­nen, um die Ver­wandt­schafts­ver­hält­nis­se über­bli­cken und nicht zuletzt auch his­to­risch ein­ord­nen zu kön­nen, was ange­sichts der ver­han­del­ten poli­ti­schen Ver­hält­nis­se nicht irrele­vant ist.

Berüh­rend ist »Erb­gut« aber in jedem Fall und was bleibt, ist der Wunsch, sich mit so gut wie jeder Figur zusam­men zu set­zen, die Abdrü­cke und Was­ser­rin­ge auf der Tisch­plat­te zu betrach­ten, einen Kaf­fee zu trin­ken und zu sagen: »So, jetzt erzähl ein­mal.« Denn am liebs­ten wür­de man noch wei­ter zuhö­ren.

Die­se Rezen­si­on erschien auch in unse­rer Print­aus­ga­be #63, Sep­tem­ber 2022

Kathe­ri­na Bra­schel ist seit 2015 bei &Radieschen. Sie ist für die Text­aus­wahl zustän­dig und organ­si­liert und mode­riert die Lesun­gen beim Anno Lite­ra­tur Sonn­tag. Auf­ge­wach­sen in Salz­burg, lebt und arbei­tet seit 2011 in Wien, wo sie Theater‑, Film- und Medi­en­wis­sen­schaft stu­dier­te. 2019 wur­de sie mit dem Rau­ri­ser För­de­rungs­preis, dem exil-lite­ra­tur­preis und dem Wort­mel­dun­gen För­der­preis aus­ge­zeich­net. 2020 erschien ihr Buch­de­büt es fehlt viel (edi­ti­on mosa­ik).

Foto: © Leon­hard Pill

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