Cornelia Koepsell:
DIE UNBEZÄHMBAREN
Geest, 2023
250 S. | € 13,80 (D)
ISBN: 978–3‑86685–975‑3
Rezension: Margarita Puntigam-Kinstner
In „Die Unbezähmbaren” geht es um zwei Frauen. Die eine von ihnen (Frieda) ist die Tante der anderen (Julia).
Frieda, die am Ende des Krieges aus ihrer Heimat vertrieben wurde, hat sich (ebenso wie Julias Mutter) eine neue Existenz in Schleswig-Holstein aufgebaut.
Als Julia zum Teenager heranreift, hat Frieda bereits mehrere Fehlgeburten hinter sich, sie ist geschieden und lebt allein. Julia besucht ihre Tante oft. Frieda setzt dem Mädchen allerdings „Flausen in den Kopf“, denn sie versucht, ihre Nichte zu einer selbstständigen Frau zu erziehen. Julia soll sich nichts gefallen lassen, sie soll nie in Abhängigkeit eines Mannes geraten. Julia soll ihr Leben nach eigenen Vorstellungen leben.
Auch Frieda genießt ihr Dasein als Geschiedene immer mehr, wenngleich sie von anderen schief angeschaut wird (vor allem als sie sich in den verheirateten Vorgesetzten verliebt und feststellen muss, dass sie gegen ihre Gefühle machtlos ist).
Frieda, die sich später sogar mit einem Tante-Emma-Laden selbständig machen wird, beginnt ihre Gedanken niederzuschreiben, auch erste Kurzgeschichten entstehen. Doch erst als sie sich ein männliches Pseudonym zugelegt, werden ihre Texte abgedruckt.
Julia ist Friedas einzige Vertraute, die Einzige mit der Frieda so reden kann, wie sie wirklich denkt.
Für Julia wiederum wird Frieda zum großen Vorbild. So sehr, dass Julia es sich mit der Deutschlehrerin verscherzt und die Schule wechseln muss.
Hart wie Kruppstahl war die Kriegsgeneration.
„Das musst du aushalten“, hieß es, wenn jemand zu zerbrechen drohte. Über Kriegstraumata wurde nicht gesprochen, neigte jemand zu Gewalt, hieß es, der oder die habe eben viel durchgemacht. Männer schlugen ihre Frauen, Lehrer*innen brüllten herum oder wurden handgreiflich. Eingeschritten hat niemand.
Was manche Frauen in der Ehe aushalten mussten, wollte in den Jahrzehnten nach dem Krieg niemand wissen. Trank der Mann zu viel, schafften die Frauen es in den Augen der anderen bloß nicht, ihn vom Trinken abzuhalten. Ging der Mann fremd, unterstellte man der Frau, frigide zu sein. Schlug der Mann zu, hieß es bloß: Hättest dir so einen eben nicht ausgesucht.
Von den Frauen der Nachkriegsjahre wurde erwartet, dass sie ihren Männern jeden Wunsch von den Augen ablasen. Niemand fragte, wie es ihnen während des Krieges ergangen war, wie sie es geschafft hatten, sich und die Kinder zu ernähren. Die Männer waren wieder da, die Frauen hatten sich zu fügen. Auch die Erziehung war geprägt von den Regeln, die man während der Nazi-Diktatur eingetrichtert bekommen hatte.
Die Diktatur war untergegangen, rein äußerlich herrschte Demokratie, jedoch streckte das Dritte Reich seine langen Spinnenfinger in die Bereiche Familie, Fabrikhalle, Büro. Hier herrschte weiterhin das Prinzip von Befehl und Gehorsam. Hier brüllten die kleinen Diktatoren sich die Kehlen wund.
(S. 106/07)
Selbst die neue sexuelle Freiheit befreite bloß einen: den Mann. Nun konnte er sich noch freier ausleben, sei es im fremden oder auch im eigenen Bett – eine Frau, die keinen Mann hatte, galt nach wie vor als „Übriggebliebene“ oder “alte Jungfer”.
In „Die Unbezähmbaren“ zeigt Cornelia Koepsell, wie absurd manche Erwartungshaltungen waren und zum Teil auch heute noch sind.
Von den Frauen der Kriegsgeneration wurde erwartet, dass sie Ehemänner fanden, obwohl die Männer fehlten – zu viele von ihnen waren auf den Schlachtfeldern “gefallen”.
Und wie oft hieß es, ein Mädchen sollte nicht lesen. Auch Julias Vater meint: Lesende Frauen sind „Frauen die sich für sehr schlau halten und über dem Bücherlesen ihre Pflichten vergessen“, worauf Julia kontert: „Bei Paul beschwerst du dich doch, dass er zu wenig in seine Bücher schaut und nur Fußball dem Kopf hat, bei mir wiederum ist es nicht recht, dass ich viel lese und deshalb zu schlau werde.“ (S. 138).
Am Ende des Romans ist Frieda tot. Die erwachsene Julia hilft ehrenamtlich im Frauenhaus aus. Dort bekommt sie mit, wie oft Frauen zu ihren Peinigern zurückkehren – nicht selten aus Angst.
Der gefährlichste Zeitpunkt in einer gewalttätigen Beziehung ist, wenn die Frau gehen will.
(S. 211)
Koepsell beamt uns beim Lesen nicht in ein anderes Leben – wir begegnen den Frauen der Kriegs- und Nachkriegszeit auf Augenhöhe. Das fördert das Verständnis, und ja, vielleicht stellt die eine oder andere von uns sogar fest, dass die eigene Mutter oder Großmutter (oder auch Urgroßmutter) wesentlich emanzipierter war als wir es bisher wahrgenommen haben .…
Sollten Sie eine Tochter im Teenageralter haben, drücken Sie ihr ruhig “Die Umzähmbaren” in die Hand. Koepsell ermutigt mit der Geschichte der Frieda Frauen nicht nur, ihren eigenen Weg zu gehen und sich in jeder Situation Freiräume zu schaffen, sondern zeigt auch, dass es jeder von uns passieren kann, sich in den Falschen zu verlieben. Frauen sind nicht “selber schuld”, wenn es passiert – auch wenn es selbst im Jahr 2024 noch immer zu viele Menschen gibt, die genau das behaupten und sich somit auf die Seite der Täter stellen.
Margarita ist seit 2009 bei &Radieschen. Sie ist für den Satz der Zeitschrift sowie den reibungslosen Ablauf von Einsendeschuss bis Druck verantwortlich – und für diesen Blog. Bei &Radieschen hat sie ihre Leidenschaft fürs Zeitschriftenmachen entdeckt, weswegen sie seit 2021 auch die Dialektzeitschrift “Morgenschtean” gestaltet. Wenn sie nicht gerade vor dem Bildschirm sitzt, dann liest sie meist. Oder sie schreibt (> margaritakinstner.at).